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Die Neunmalklugen nerven die Kollegen

Dr. Gassen (Kassenärztliche Vereinigung), Prof. Dr. Schmidt-Chanasit und Prof. Dr. Streeck haben ein Konzept vorgelegt, hinter dem sich auch viele Ärzte, also die Mitglieder der kassenärztlichen Vereinigung, versammelt hatten. Dass dieses sogenannte Konzept just an dem Tag das Licht der Öffentlichkeit erblickte, an dem sich Merkel und die 16 Länderchefs zum Wellenbrecher-Lockdown durchgerungen haben, hat ein Geschmäckle.

Wie neunmalklug dieses Konzept rüberkommt, erschließt sich schnell, wenn man es einmal durchliest. Die These enthält u.a. den Punkt, der an die schwedische Lösung erinnert. Er setzt auf Gebote, statt Verbote. Klingt sympathisch, ist jedoch anhand unserer Erfahrungen mit den Feierbiestern der Republik wohl eher illusorisch.

Es ist richtig, dass zum Beispiel heute noch keiner sagen kann, was eigentlich nach November passieren wird. Und zwar ganz unabhängig davon, ob die Neuinfektionszahlen nun zurückgehen oder – was Gott verhindern möge – keine signifikante Verbesserung eintreten würde. Das Virus wird immer noch da sein und so könnte es – je nach Verhalten der Menschen im Land – dazu kommen, dass der nächste Lockdown vorbereitet werden müsste.

  1. Abkehr von der Eindämmung alleine durch Kontaktpersonennachverfolgung.
    • Die Eindämmung beruht aber keineswegs allein auf der Kontaktpersonennachverfolgung. Es gibt leider nicht viele aber dennoch einige Maßnahmen (AHAL), die wichtig sind und die auch funktionieren. Übrigens im Gegensatz zu der Behauptung eines anderen Ärztefunktionärs! In anderen Ländern, die nicht wie Deutschland über dezentrale, bundesländerübergreifende Gesundheitsämter verfügen, sieht die Lage schon länger viel schlimmer aus als bei uns.
    • Jetzt ist der Punkt leider erreicht, an dem auch bei uns die Ressourcen nicht mehr ausreichen, um die Kontaktpersonennachverfolgung erfolgreich zu nutzen. Dahin müssen wir aber zurück.
  2. Einführung eines bundesweit einheitlichen Ampelsystems anhand dessen sowohl auf Bundes- als auch auf Kreisebene die aktuelle Lage auf einen Blick erkennbar wird.
    • Dr. Gassen konnte Frau Prof. Brinkmann in der gestrigen ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“ nicht wirklich erklären, wie eine solche Ampel, die durchaus wichtige andere Parameter berücksichtigen könnte, realisiert werden könnte. Ein schwaches Bild für einen der Mitinitiatoren dieser Offensive.
    • Brinkmann erläuterte Herrn Dr. Gassen freundlich aber bestimmt, dass alle handelnden Personen alle relevanten Zahlen permanent im Blick hätten. Dass neben den Neuinfektionen, die Werte aus der Divi-Intensivregister, die Zahl der Tests, die Zahl der Erkrankten und so weiter in der Bewertung eine Rolle spielten, sei selbstverständlich.
    • Allerdings wäre eine veröffentlichte Übersicht all dieser Zahlen, von mir aus in Form eines Ampelsystems, schon deshalb wünschenswert, weil dies für mehr Transparenz sorgen könnte.
  3. Fokussierung der Ressourcen auf den spezifischen Schutz der Bevölkerungsgruppen, die ein hohes Risiko für schwere Krankheitsverläufe haben.
    • Regelmäßige Schnelltests für Altenheime wären nötig. Sie können erst jetzt organisiert und angewendet werden, weil es diese bisher gar nicht gab. Die Kapazitäten von PCR – Test waren begrenzt, wie wir alle wissen sollten. Was sich die Gruppe genau unter einem spezifischen Schutz dieser Menschen vorstellt, bleibt vage.
  4. Es ist für die Unterzeichner unstrittig, dass der Fokus im weiteren Verlauf der Pandemie auf dem Schutz von Risikogruppen liegen muss. Gleichwohl müssen wir darüber nachdenken, wie eine Isolation ganzer Bevölkerungsgruppen gegen den eigenen Willen verhindert werden kann. Aus unserer Sicht wurde es über die Sommermonate leider versäumt, analog zu den Konzepten der Arztpraxen maßgeschneiderte und allgemeingültige Präventionskonzepte für vulnerable Gruppen zu entwickeln.
    • Ein Vorwurf, das die Zeit nicht genutzt wurde, ist vielleicht berechtigt, es ändert nur leider an den bestehenden Umständen in vielen Alters- und Pflegeheimen sowie Krankenhäusern nicht wirklich etwas. Außerdem hätten die Initiatoren ja die Zeit nutzen können, um konkretere Vorstellungen zu unterbreiten. Fehlanzeige!

Auf mich wirkt das Papier insgesamt schlicht naseweis, und es wurde leider zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, der aus meiner Sicht voll daneben war. So wirkte die Veröffentlichung ein bisschen wie der Versuch, eine weitere Corona-Opposition zu etablieren. Sie wirkte dafür jedoch ziemlich substanzlos.

Damit wurde allerdings alles in allem all denjenigen in die Hände gespielt, die generell mit den Entscheidungen der Regierung ein Problem haben. Wären die Vorschläge substanziell gewesen, was sie jedoch ausdrücklich nicht sind, wäre dieser Vorgang in Ordnung gewesen. Aber das ist mitnichten so. Diese Wirkung ist nicht so banal, wie manche es vielleicht sehen möchten.

Allein die Tatsache, dass namhafte Ärzte und Wissenschaftler sich hinter diese Initiative gestellt haben, hat das Zeug dazu, die Polarisierung auch bei diesem so schwierigen Thema weiter anzuheizen. Dabei ist das Papier in meinen unmaßgeblichen Augen ziemlich dürftig und ohne wirkliche Substanz.

Ich fand, man konnte Frau Prof. Brinkmann in der erwähnten ZDF-Talkshow anmerken, dass sie von diesem Vorstoß ihrer Kollegen ziemlich genervt war. Ich kann das gut verstehen.

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6 Gedanken zu „Die Neunmalklugen nerven die Kollegen“

  1. In dieser Talkshow wirkten einige Personen recht stark, deren Präsenz mir früher nicht so aufgefallen ist. Dazu gehört Prof. Melanie Brinkmann und auch Ute Teichert. Mir kam es so vor, als hätten sie sich an ihre Rolle als Expertin gerade im TV gewöhnt und wären medial gewachsen. Tobias Hans war auch stark ,wie eigentlich auch sonst immer.

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  2. Ja, diese Krise macht (jedenfalls medial) Persönlichkeiten. Die gehören wohl dazu. Nun gehört Frau Brinkmann, wenn ich richtig informiert bin, zu den Beratern der Bundesregierung. Insofern war ihre von mir so wahrgenommene Aggression gegen Gassen wohl auch die Antwort auf die Kritik an ihrer Arbeit. Mir fällt auf, dass ich selbst in dieser Krise diejenigen Persönlichkeiten schätze, die besonders klar und deutlich kommunizieren und -natürlich- authentisch. Insofern gehören die von dir genannten dazu.

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  3. Ich nehme an, Du magst Habeck nicht. Aber den würde ich doch auch noch gerne hinzuzählen. Das wenige, was ich von ihm sah, seine sehr artikulierte Sprache, das schätzte ich. Hatte sein letztes Buch gelesen, das war besonders wohltuend.

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  4. Ich sag mal so: Er hat in meinen Augen verloren, weil er die großen Linien aus der Anfangszeit nicht mehr zieht. Oder wenn er es versucht, wirkt das irgendwie (auf mich) nicht mehr überzeugend. Hab mich wohl blenden lassen. Bei der Sendung am Donnerstag war er allerdings mit seinen Statements vollkommen auf „meiner Linie“. ༼ つ ◕_◕ ༽つ

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  5. Was hast Du da für Zeichen eingebunden? 😉
    Ich bin ja auf der Suche nach Möglichkeiten, meine Texte so stramm zu ziehen, dass sie nicht missverstanden werden, nach Möglichkeit natürlich.

    Nach meinem Gefühl gibt es eine Reihe herausragender Politiker, denen ich gerne zuhöre und die auch über den Tellerand gucken können. Das war nicht immer so bzw. schaute ich nicht genau hin..

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  6. Drück mal die rechte Maustaste und sieh dir die oberste Zeile im Kontextmenü genauer an. Alle darin befindlichen Zeichen werden im Editor (bei den Kommentaren z.B.) eingefügt. Du kannst auch mit Win + Punkt dieses Menü aufrufen. Ich hoffe, das hilft dir.

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