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Ahmad Mansour über den aktuellsten Ehrenmord in Berlin – und was dagegen helfen würde

Länger habe ich schon nichts mehr bei Focus.de gelesen. Heute fiel mir die aktuelle Kolumne von Ahmad Mansour in die Hände. Den Mann bewundere ich sehr für seine Arbeit und dafür, dass er sich unermüdlich für das einsetzt, was er in den letzten Jahren zu seiner Sache gemacht hat. Dabei sollte sie langsam aber sicher zu unser aller Anliegen werden!

Das Thema Ehrenmord hatte ich hier schon einmal behandelt, wenige Tage nachdem ich mich mit einer Gruppenvergewaltigung auseinandergesetzt hatte, die in Leer stattgefunden hatte. Meine Haltung zu diesen Verbrechen ist klar. Solche Leute haben in unserem Land nichts zu suchen. Aber diese plakative Aussage hilft nicht weiter, sie löst auch keines der Probleme, die unsere Gesellschaft seit 2015 stark belasten.

Im Gegensatz zu 2015, 2016 habe ich meine Einstellung zu Flüchtlingen aus islamischen Ländern verändert. Sie ist kritischer geworden. Ich sehe, dass unser Staat und unsere Gesellschaft sie aufgenommen und ihnen Schutz geboten, sie jedoch auf der anderen Seite nicht als willkommene MitbürgerInnen angenommen hat.

Die meisten interessieren sich für Flüchtlinge nicht. Bitte, das soll nicht das großartige Engagement vieler Menschen schmälern, die sich seit Jahren mit großer Hingabe kümmern. Aber ich glaube, die große Zahl derjenigen zu sehen, die zwar die Veränderungen auf unseren Straßen und Plätzen wahrnehmen (und nicht selten beklagt haben), die sich aber unter den neuen Bedingungen nicht wohl fühlen. Nun ist es vielleicht zu einfach, dafür der AfD oder den so genannten Rechten die Schuld zu geben. Sie spielen bei alldem eine Rolle. Ich fürchte nur, dass die grundsätzliche Haltung vieler Leute sich im Laufe der Zeit erst entwickelt und mit den durchsichtigen Hetzkampagnen der Rechten nur am Rande zu tun hat.

Andersherum fällt mir das auf, was Mansour aus meiner Sicht also ganz zu Recht beklagt. In der Öffentlichkeit werden manche Erscheinungen, zu denen ich Gruppenvergewaltigungen oder Ehrenmorde zähle, oft nicht angesprochen. Für die Rechten war immer klar, dass liberale Kräfte (linksgrün) mit ihrem Schweigen in Wahrheit nur die eigene Verantwortung für solche Vorgänge verschleiern möchten. Demnach wäre es das schlechte Gewissen über eine falsche Entscheidung, die man irgendwann (um 2015) einmal getroffen hatte und zu der man sich heute nur noch bekennt, um die eigene Fehleinschätzung nicht zugeben zu müssen.

Mansour sieht es nüchtern. Er fragt beispielsweise, weshalb die FeministInnen sich zu Ehrenmorden an muslimischen Frauen kaum äußern. Er schreibt, die Ehrenmorde hätten seit 2015 „rapide“ zugenommen. Es seien zahlreiche Mädchen und Frauen Ehrenmorden zum Opfer gefallen. Er fordert die Gesellschaft dazu auf, ohne Tabus auf Ursachenforschung zu gehen. Er stellt auch fest, dass viele, die bei uns leben wollen, Gleichberechtigung, sexuelle Selbstbestimmung, überhaupt die Freiheit der Frau, rundweg ablehnen. Deshalb bewegten sie sich, so Mansour, in Parallelgesellschaften.

Ich frage mich, wie das laufen könnte, wenn diese Parallelgesellschaften durch eine andere Form sozialer und gesellschaftlicher Beteiligung verhindert worden wären? Wahrscheinlich gründet meine Frage auf ganz utopischen Vorstellungen. Wie etwa der Gleichheit aller Menschen und seinem Recht, in einem gewissen Umfang sein Leben frei bestimmen und führen zu können.

Ich will mir keinen schlanken Fuß machen. Mit Utopien löst keiner ein Problem. Es gibt im ganzen Land Flüchtlingssiedlungen, in denen auch fast nur Flüchtlinge leben. Es gibt Stadtteile im ganzen Land, in denen nur Migranten leben. Diese gibt es in allen Ländern. Wir wissen und respektieren das. Jedenfalls, solange nicht Eindrücke entstehen, die wir unter Begriffen wie „No-Go-Aeneas“ kennengelernt haben. Erst dann, wenn wir erleben, dass Clans sich der Polizei widersetzen, schäumt unser Temperament auf. Schlimm, wenn Migranten Deutsche Kartoffel nennen. Sowas geht gar nicht. Darüber streitet man bei Twitter und selbst wegen solchen Banalitäten entsteht der eine oder andere Shitstorm, in den man lieber nicht geraten will. Dabei hätten wir uns seit Jahrzehnten auf die Revanche einstellen können. Oder wer waren diejenigen, die viele von uns Spaghetti oder Knoblauchfresser gerufen haben?

Link: Psychologe Ahmad Mansour im Interview : Unterdrückung im Namen der Ehre – Berlin – Tagesspiegel

Sind wir in der Lage, auch vor dem Hintergrund in Zukunft noch weiter zunehmender Zuwanderungszahlen, unsere Vorbehalte abzubauen oder ist diese Gesellschaft mit der aktuellen Einwanderungszahl nicht „schon“ überfordert? Wenn ich das frage, kommt mir gleich dieser NPD-Slogan in den Kopf, den ich immer ganz schrecklich fand. Wer kann eigentlich wirklich darüber entscheiden, wann das Boot voll ist und ab wann unsere Gesellschaft (egal wie man selbst dazu stehen mag) überfordert ist?

Mansour findet, wir müssten mehr Prävention und Aufklärung leisten. Er tut das seit Jahren. Aber wie viele Psychologen, Sozialarbeiter und Fachleute wären notwendig, um eine solche Mammutaufgabe zu leisten? Wie viele Männer, vornehmlich junge, sind seit 2015 zu uns gekommen? Hunderttausende waren es – so ungefähr. Gehen wir davon aus, dass nur sehr wenige unter ihnen sind, die Ehrenmorde oder Gruppenvergewaltigungen begehen könnten. Wie groß könnten die Gruppen von Teilnehmern sein, um im Sinne Mansours effektive Prävention und Aufklärung zu leisten? Wie viel Aufwand (Zeit und Kosten) wären notwendig, um dieses Projekt flächendeckend erfolgreich einzusetzen?

Ich habe immer gesagt, dass alle Kinder von ihren Eltern lernen, was gut und was falsch ist. Dass die Bevormundung und Knechtschaft von Frauen zum Bestandteil einer religiös geprägten Kultur zählen könnte, habe ich nicht auf dem Zettel gehabt. Das Problem, vor dem wir an dieser Stelle stehen, ist aus meiner Sicht nicht zu lösen. So wird es dabei bleiben, dass solche Taten auch weiter in Deutschland geschehen, wir angewidert wegsehen und uns möglichst gar nicht dazu äußern oder verhalten. Den Rest überlassen wir unseren Justizbehörden und hoffen mal, dass die Täter nach der Verbüßung ihrer hoffentlich langen Haftstrafen, in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Aber dass das am Ende nur schlecht funktioniert, haben wir ja in den letzten Jahren gelernt.

Alles in allem komme ich immer mehr zu dem Schluss: Dieses Land ist in seiner früheren Verfassung nicht mehr zu retten. Es kam im gutmenschlichen Gewand und nur wenige haben es begriffen.

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5 Gedanken zu „Ahmad Mansour über den aktuellsten Ehrenmord in Berlin – und was dagegen helfen würde“

  1. Umkehrschluss: Die Meisten haben das begriffen. Nur anders, als geplant.
    Es geht eine unglaubliche Kraft von der Erziehung aus. Warum sollte die bei Anderen anders ausgehen, als bei Deutschen? Wenn jeder selbst die Wahrheit für sich gepachtet hat und die mit (seiner Meinung nach) jedweder Gewalt durchsetzen muss, wozu führt das? Da würde ich einen Disput ansetzen.

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  2. Dann glaubst du, dass die Erziehung die Taliban zu dem gemacht hat, was sie sind? Der Mensch ist immer auch das Produkt seiner Umgebung. Aber auch für muslimische Familien wird zunächst einmal gelten, dass dort fundamentale Dinge vermittelt werden. Dass dazu zwangsläufig religiöse und soziale Belange gehören, ist klar. Dass die Religion für Muslime einen anderen Stellenwert hat und diese Religion stärker noch als die anderen Absolutheitsansprueche vertritt, ist ein Problem. Das hatten wir bei christlichen Religionen auch zu lange. Daran wird wohl auch niemand was ändern. Vlt. die Zeit?

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  3. Dazu hat schon Bassam Tibi alles geschrieben. Der hat immerhin Adorno und Horkheimer noch begleitet. Die Zeit spielt da mitnichten eher liberalen oder säkularen Kräften in die Hände. Das lässt sich inzwischen auch überall auf der Welt beurkunden. Passend dazu radikalisieren sich auch alle anderen politischen, kapitalistischen und religiösen Strömungen.
    Diskurse & Reformen werden damit immer unwahrscheinlicher.

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  4. Tibis Beiträge habe ich immer sehr interessiert gelesen. Der Mann weiß, wovon er redet. Leider ist er in D scheinbar in Misskredit geraten, weil er sich in der Flüchtlingskrise kritisch geäußert hatte. Wir hätten auf Leute wie ihn hören müssen. Ich bin skeptisch, ob die nötigen Diskurse und Reformen im Islam überhaupt in Gang kommen. Danach sieht nichts aus. Und die Erfolge der Taliban in Afghanistan werden den Extremisten Oberwasser geben. Das macht alles noch schwieriger. Wer weiß, wann die nächsten Anschläge vor diesem Hintergrund erfolgen werden.

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  5. Du kannst auch mit dem Mann von der nächsten Dönerbude darüber reden. Der wird Ähnliches verlauten lassen, wie Herr Tibi, freilich nicht so akademisch ausgedrückt. Das liegt weniger daran, dass er Dir erzählen will, was Du hören willst, sondern hängt oftmals mit greifbaren Befürchtungen zusammen, die die künftige Entwicklung betreffen, da hier die Kulturen, deren Unterschiede und die Herkünfte und Strukturen viel präsenter sind.

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